Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.

Rechtsstaatlichkeit in der Kirche

Aufgezeigt am Beispiel des Wartestands
Hans-Eberhard Dietrich, Friedrich Reitzig


Einleitende Überlegungen
Rechtsstaatlichkeit in der Kirche ist von ein paar Randnotizen abge-sehen1 bisher kein Thema von Theologie und Kirchenrechtsliteratur. Zwei Gründe könnten dafür maßgebend sein. Zum einen genießt die Kirche durch das Grundgesetz Artikel 140 i.V.m. Artikel 137 WRV Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf Rechtssetzung, Rechtsaus-übung und Rechtsprechung. Zum anderen gibt es theologische Beden-ken, die von der Verpflichtung der Dritten Barmer These ausgehen; es könnten staatliche Maßstäbe in das kirchliche Recht übernommen werden, die dem Auftrag der Kirche entgegenstehen. „Es besteht die Gefahr, dass kirchliche und staatliche Gerichte den Begriff losgelöst von den kirchlichen Belangen auslegen, so dass sich die Kirche rechtlichen Anforderungen gegenübersehe, die dem kirchlichen Auftrag zuwider-liefen.“2


Diesen Bedenken muss man entgegenhalten: Das Mühen um Rechts-staatlichkeit und Menschenwürde entspricht genau der Würde, die Gott den Menschen durch die Gottebenbildlichkeit verliehen hat. Sie geht durchaus konform mit der von Jesus angemahnten „besseren Gerechtig-keit“ als die der Pharisäer und Schriftgelehrten. Die Kirche könnte sogar Vorbild sein, wenn sie in ihrem Bereich aufzeigt und lebt, was wahre Gerechtigkeit und dait die im kirchlichen Sinn zu erstrebende Rechtsstaatlichkeit ist.


Rechtsstaatliche Grundsätze sind nichts der Kirche Fremdes. Deshalb sollte Rechtsstaatlichkeit da ganz normal und selbstverständlich sein, wo es dem evangelischen Selbstverständnis entspricht. Sie stellen ihre Botschaft nicht in Frage. Im Gegenteil, die aus den Prinzipien der
Rechtsstaatlichkeit entsprungenen Grund- und Menschenrechte kann man auf Gebote und Anschauungen der christlichen Lehre zurückführen und haben bei ihrer Formulierung unter anderen Pate gestanden. Z.B. die Menschenrechte werden aus der Würde des Menschen begründet,
die aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen abgeleitet wird.


Die Einsicht, dass von der Rechtsstaatlichkeit keine Gefahr für die Kirche und ihren Auftrag ausgeht, leitete die Synode der Berliner Landeskirche. Die Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz hat im Jahre 2003 die Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit in ihre Grundord-nung aufgenommen:


"Kirchliches Recht und kirchliche Verwaltung sind unter Beachtung
rechtsstaatlicher Grundsätze dem kirchlichen Auftrag verpflichtet."

(Artikel 7 III)


Ein Grund für die Übernahme dieses Artikels war die Überlegung: „Das Selbstverwaltungsrecht (der Kirchen) wird bei vermögensrechtlichen Fragen, von den staatlichen Stellen nur so weit respektiert werden, als kirchliche Gesetzgeber, Verwaltungsstellen und Gerichte bereit sind, staatliche Standards zu berücksichtigen. Anderenfalls läuft das Selbs-tverwaltungsrecht Gefahr, an Legitimität zu verlieren und durch die extensive Auslegung des Begriffs der allgemeinen Gesetze (Art.137 Abs. 2 WRV) ausgehöhlt zu werden.


Mögliche Bedenken wurden zerstreut: „Wegen der Priorität des kirch-lichen Auftrags sah man es als ausgeschlossen an, dass kirchenfremde Rechtssätze in das kirchliche Recht hinein transportiert werden. Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass die Entstehung des Rechts-staatgebots ohne den Hintergrund des Christentum und einer christlich geprägten Kultur nicht denkbar sei.“3


Trotzdem gilt natürlich das Selbstbestimmungsrecht der Kirche: Rechts-staatsbindung und kirchliches Selbstverständnis müssen in Einklang gebracht werden.4 Relativ unproblematisch ist das im Kernbereich der Kirche, in dem Kirchenordnungen der  Glaubensausübung dienen wie Taufe, Abendmahl und Kirchenzugehörigkeit. Problematischer ist der Bereich, in dem kirchliche Verwaltung durch arbeitsrechtliche Regelun-gen in die bürgerliche Existenz und Lebensgestaltung der Glaubenden eingreift. Hier wird ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit am ehesten spür-bar. Die Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien auf andere Bereiche der Kirchenverfassung und Kirchenordnung ist damit im Grundsatz festge-stellt.


1. Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien auf Bestimmungen des Pfarrerdienstrechts speziell auf Wartestand und Ungedeihlichkeit
Zur Eigenart des Pfarrberufs zählt ihr Doppelcharakter, zum einen die geistliche Dimension Der Beruf des Pfarrers ist kein Beruf wie jeder andere. Er zeichnet sich durch eine Doppelstruktur aus.


1. Die geistliche Dimension, vom Glauben abgeleitet. Sie ver-schafft sich ihren Ausdruck in einem protestantischen Amtsver-ständnis. Der Geistliche ist Träger der öffentlichen Verkündigung. Er ist durch die Ordination an Bibel und Bekenntnis, die Ordnun-gen der Kirche und an das Beichtgeheimnis gebunden.
2. Die weltlich-rechtliche Seite des Dienstverhältnisses, das so-genannte Verbandsrecht. Er wird von einer Kirche angestellt und für seinen Dienst entlohnt. Sie ist weitgehend nach Kriterien des Beamtenrechts ausgestaltet, insbesondere die versorgungs-rechtlichen Bestimmungen. Dieses innerkirchliche Verbandsrecht ist an die allgemeinen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebun-den.5


1.1 Verhältnismäßigkeit
Das rechtsstaatliche Gebot bedeutet: Verhältnismäßigkeit als ganz zentraler Grundsatz staatlichen Handelns besagt: jede Maßnahme, d.h. Verfügungen und Eingriffe müssen einem zulässigen Zweck dienen, geeignet sein, das mit ihr angestrebte Ziel zu erreichen, und es muss erforderlich, d.h. es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen, um dieses Ziel zu erreichen, und schließlich muss es angemessen sein, d.h. die Relation zwischen Mittel und Zweck darf nicht auseinander klaffen.


1.1.1. Konflikte in der Gemeinde
Die Rechtsfiguren Ungedeihlichkeit und Wartestand haben den Zweck, einen Gemeindekonflikt, in den ein Pfarrer, eine Pfarrerin involviert ist, zu lösen, wenn er nicht anders zu beheben ist. Für den Fall eines Konfliktes in der Gemeinde ist der Zweck der Versetzung legitim.
Der Zweck der Versetzung ist somit zulässig, um eine ordnungsgemäße Verkündigung zu gewährleisten. Mit der Versetzung auf eine andere, amtsangemessene Stelle ist der Zweck erreicht, den Gemeindefrieden wieder herzustellen.


Mit der Versetzung in den Wartestand ist der Zweck erreicht, es fehlt an der Erforderlichkeit mit der Versetzung auch negative Rechtsfolgen zu verknüpfen. Die Versetzung in den Wartestand geht über diesen Zweck hinaus. Es fehlt an der Erforderlichkeit. Der Verwaltung stehen andere Mittel zu Verfügung, z.B. wie in Württemberg die Versetzung auf eine bewegliche Pfarrstelle. Andere Landeskirchen haben ähnliche Möglich-keiten oder müssten solche schaffen. Denn Wartestand führt teils auto-matisch (gebundene Entscheidung) in den Ruhestand und damit zu einer Beendigung des aktiven Dienstes mit entsprechenden finanziellen Ein-bußen. So gesehen stellt die Versetzung in den Wartestandes de facto eine Bestrafung dar, wie sie sonst nur im Disziplinarrecht möglich ist und das Ganze ohne Schuldspruch.


1.1.2 Andere Gründe der Versetzung in den Wartestand
Es ist zu bezweifeln, dass alle weiteren Gründe der Versetzung in den Wartestand ein angemessener Zweckbestimmung zugrunde liegt.
Solche anderen Gründe sind, je nach Landeskirche:6


· Die sogenannten Übergänge: Ablauf der Amtszeit bei Pfarrern mit Sonderaufträgen; Beendigung der Beurlaubung; Rückkehr aus der Mission;
· Widerruf eines eingeschränkten Dienstauftrages;
· Widerruf einer gemeinsam versehenen Pfarrstelle;
· Beendigung des Erziehungsurlaubs;
· Übernahme eines politischen Mandats, z.B. Gemeinderat in einem Dorf.
· wenn ein Pfarrer einer Aufforderung zum Stellenwechsel nicht in der vom OKR gesetzten Frist nachkommt;
· freiwilliger Wartestand, z.B. bei dringendem dienstlichem Interesse (z.B. Ehescheidung oder Krankheit);
· Heirat eines nichtevangelischen Partners ohne Einwilligung des OKR.
· Abwahl durch eine 2/3 Mehrheit des Besetzungsgremiums

 

Alle diese Gründe stehen unter dem Verdikt der Unverhältnismäßigkeit, weil der Verwaltung mildere Maßnahmen zur Verfügung stehen.
Eine solche Versetzung in den Wartestand dient keinem ersichtlichen Zweck, der sich aus dem Auftrag der Kirche und einem protestantischen Amtsverständnis ergeben würde. Eine Zweckbestimmung könnte das Interesse der Verwaltung sein, bestimmte Fälle zu lösen. Dafür stehen den Landeskirchen aber mildere Mittel zur Verfügung, in Württemberg z.B. Versetzung auf eine bewegliche Pfarrstelle.


Eine Versetzung in den Wartestand verletzt deshalb das Rechtsstaats-prinzip, an das die Kirche durch die Dienstherrenfähigkeit gebunden ist. Denn eine solche Versetzung bedeutet nicht  eine Veränderung des Dienstauftrages, sondern ermöglicht, die Beendigung des aktiven Dien-stes vor Erreichung der Altergrenze herbeizuführen, ohne dass gesund-heitliche oder disziplinarische Gründe vorliegen.

 

Die Ausweitungen der Gründe
Die Ausweitungen der Gründe im Lauf der Jahrzehnte, die zum Warte-stand führen, macht deutlich, dass die Kirchenleitung mit dem Warte-stand auch andere Zwecke verfolgt. z.B. leichtere Stellenbewirtschaf-tung. Die Verwaltung schaffte sich mit diesem Gesetz ein mit leichter Hand zu handhabendes Gesetz, das ohne Rücksicht auf ihre eigentliche Aufgabe und Zwecksetzung gehandhabt wird.


1.2. Verletzung des Prinzips der Zuordnung und des Verfahrens.
Dieses Prinzip besagt: Es muss klare und transparente Regeln geben, wer bestimmte Entscheidungen zu treffen hat und welches Verfahren dabei zu beachten ist, und diese Formalien müssen tatsächlich eingehalten werden. D. h.: Zuordnung und Benennung der jeweils zuständigen und verantwortli-chen Amtsträger der landeskirchlichen Behörde.
Beim ganzen Verfahren bleibt bisher unklar, wer bestimmte Entscheidungen zu treffen hat und welches Verfahren dabei zu beachten ist. Das Gebot der Formalisierung, insbesondere Zuständigkeit und Art des Verfahrens wird damit verletzt. Das Gesetz lässt nicht erkennen,
wie diese Erhebung vonstatten geht und ob sie der Wahrheitsfindung verpflichtet ist. Wenn überhaupt so stellen die Gesetze lapidar fest: wie z.B. Pfarrerdienstrecht der VELKD.


§ 87 Pfarrerdienstrecht
(1) Zur Feststellung des Sachverhalts im Falle von § 86 Abs. 1 (Versetzung wegen Ungedeihlichkeit) sind die erforderlichen Erhebungen durchzuführen.


1.3 Transparenz und Offenheit des Verfahrens ist gegenwärtig nicht gegeben.
Alle Gespräche und Sitzungen der zuständigen Gremien finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und ohne den betroffenen Pfarrer. Damit wird die Transparenz verletzt.

1.4 Verfahren bei der Feststellung der Ungedeihlichkeit verletzt das Prinzip der Unschuldsvermutung
Die Versetzung in den Wartestand erfolgt in zwei Akten. Der erste Akt ist der Entzug der bisherigen Stelle. Dabei wird die Schuld des Pfarrers an der Zerrüttung nicht erörtert, nicht erhoben, nicht festgestellt, auch nicht negiert.
Diese Unschuldsvermutung gilt aber nicht für den zweiten Akt, der Ver-setzung in den Wartestand. Dem Pfarrer wird eine gleichwertige Stelle verweigert. Es werden die gleichen Gründe, die zur Amtsenthebung geführt haben, verbunden mit weiteren  Ermessenserwägungen der Verwaltung. Sie dienen dazu, ohne weitere Feststellung der Wahrheit, die Versetzung auf eine andere Stelle zu verweigern. Für die Kirchen-gerichte genügt die Feststellung, dass diese Gründe glaubhaft vorge-tragen werden. Die Prognose, vorläufig nicht auf einer anderen Stelle gedeihlich zu wirken, enthält ein Schuldmoment, sonst gäbe es keine Bestrafung. Damit verstößt das Gesetz gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung.


1.5 Beweiserhebung im Verfahren folgt nicht dem Gebot der Wahrheitsfeststellung
Der Beschluss des KGR, dass das Vertrauensverhältnis gestört ist, stellt ein Urteil dar, das weitgehend aufgrund von Behauptungen, Unterstel-lungen oder Verleumdungen gefällt wird und nicht aufgrund von nach-prüfbaren Tatbeständen, ein insgesamt nicht mehr rationales Verfahren und nicht im staatlichen Sinn gerichtsverwertbar, - hier müssen nach-prüfbare Beweise vorgebracht werden.
Inhalt der Erhebungen sind Stimmungen, Meinungen, Anschuldigungen, Ereignisse und Gegebenheiten, die von Seiten des Pfarrers und des Kir-chengemeinderates sehr unterschiedlich gedeutet werden können. Sie sind auf alle Fälle eine klare Willensäußerung des KGR oder eines ande-ren für den Pfarrer entscheidenden Gremiums, das Vertrauensverhältnis sei gestört, das Gremium will nicht mehr mit dem Pfarrer, der Pfarrerin zusammenarbeiten. Damit wird das Ermessen, das die Verwaltung im Hinblick auf die weitere Verwendung des Pfarrers ausübt, vorherbe-stimmt. Die Verwaltung kann gar nicht mehr zu einer anderen Entschei-dung kommen als auch für die Zukunft Ungedeihlichkeit zu prognosti-zieren, sonst müsste sie Fehler und Versäumnisse und die Verletzung der Fürsorgepflicht im Rahmen ihrer Erhebung in dem Zeitraum davor zuge-ben.


Kritik an der Prognose der Verwaltung7
Das Zustandekommen dieser Prognose entbehrt jeder Rationalität. Sie könnte grundsätzlich gestellt werden, wenn im Verhalten des Pfarrers „Schuldanteile“ an der Zerrüttung liegen. Wenn die Ursache der Zer-rüttung aber, wie das Gesetz betont, auch in der Gemeinde oder beim KGR liegen kann, ist eine solche Prognose reine Willkür. Selbst wenn man von Schuldanteilen beim Pfarrer ausgeht, so existieren sie, solange sie nicht ordnungsgemäß erhoben und festgestellt sind, nur in der Phan-tasie des KGR oder anderer Beteiligter. Wie können sie  voraussehen, dass der Pfarrer an einer anderen Stelle mit ganz anderen Gemeinde-gliedern und Traditionen die gleiche Verhaltensweise an den Tag legt wie in der alten Stelle?


Vertrauen.
Als Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Pfarrer und Kirchenge-meinderat wird das Vertrauen als Kriterium genannt. Vertrauen aber ist ein Begriff auf Gegenseitigkeit. Es kann von einer Seite auch grundlos aufgekündigt werden, ohne dass sich die andere Seite wehren kann. Ein KGR kann erklären, das Vertrauen zum Pfarrer ist zerstört. Wenn ein Arbeitgeber vom Verlust des Vertrauens die Fähigkeit zur Gemeinde-leitung abhängig macht, dann muss man wie auch sonst im Arbeitsrecht konkrete, nachprüfbare Belege von Fehlern und der Unfähigkeit nach-weisen, die es rechtfertigen von einem Schwund des Vertrauens zu spre-chen. Vertrauen kann z.B. vom KGR jederzeit aufgekündigt werden, ohne dass er dies objektiv nachweisen muss.


1.6 Versetzung in den Wartestand bedeutet: Versetzung in einen Status minderen Rechts
Ohne persönliches Verschulden entzieht die Kirche dem Pfarrer mit der Versetzung in den Wartestand eine ganze Reihe der mit der Verleihung der Stelle erworbenen Rechte. Einen solchen Entzug erworbener Recht kann es aber nur bei schuldhaftem Vergehen gegen Dienstpflichten ge-ben, nicht aber schon in Fällen, in denen die Schuld der Zerrüttung ein-seitig bei der Gemeinde liegen kann, wie das Kirchengesetz einräumt oder noch gravierender, wo keinerlei persönlicher Anteil vorliegt wie bei den sog. Übergängen, z.B. Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub oder dem Ende einer gemeinsam versehenen Pfarrstelle zweier Ehepartner.


Je nach Landeskirche handelt es sich dabei um folgende Rechte, die dem Pfarrer auf dem Verwaltungsweg wieder genommen bzw. verweigert werden:


· Der Pfarrer i.W. hat keinen Rechtsanspruch auf Beschäftigung, d.h. auf die Erteilung eines Dienstauftrages. (- Der Beamte hat einen Rechtsanspruch auf Beschäftigung.)
· Der Pfarrer i.W. muss hinnehmen, dass seine Stelle (im Warte-stand) reduziert wird, d.h. er bekommt auch entsprechend weni-ger Gehalt.
· Er muss jede ihm übertragene Aufgabe übernehmen, sonst droht ihm Gehaltsentzug.
· Er hat kein Mitspracherecht bei der Erteilung eines Dienstauf-trages. Bei Nichtantreten der Stelle erhält er keine Bezüge mehr.
· Er hat oft keine selbständige, eigenverantwortliche Tätigkeit, sondern steht unter besonderer Dienstaufsicht der Kirchenlei-tung, meist durch Dekan oder Schuldekan ausgeübt.
· Der Dienstauftrag i. W. ist befristet und jederzeit widerrufbar. Er endet einfach, es besteht kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
· Er ist oft beschränkt auf bestimme Bereiche pastoraler Tätigkeit.
· Beim Antritt einer solchen Stelle findet keine Investitur statt.
· Oft kann man sich nur mit Zustimmung des OKR um eine Stelle bewerben.


Diese Rechtsfolgen sind de facto eine Bestrafung ohne Schuldvorwurf, geschweige Schuldnachweis, die oft weit über die des Disziplinarrechts hinausgehen. Dieser Status minderen Rechts, den der Wartestand dar-stellt, erhärtet die Aussage, dass der Wartestand ein nicht erforderliches Mittel ist, weil der Verwaltung andere, sprich mildere Mittel zur Verfü-gung stehen.


1.7 Es findet kein Ausgleich der Interessen statt
Wenn es zu unlösbaren Konflikten zwischen Pfarrer/Pfarrerin und KGR oder Gemeinde kommt, wird man zuerst versuchen müssen, einen fairen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten zu erreichen: Gemeinde, Kir-chenleitung und Pfarrer: Mediation, Lösung des Konflikts mit dem Ziel einer künftigen gedeihlichen Zusammenarbeit.


Das Interesse der Gemeinde in einem Konflikt kann nur sein, dass der Pfarrer wechselt und die Stelle neu besetzt wird, nicht aber z.B. eine Rückstufung oder Zwangspensionierung des Pfarrers. Der Frieden in der Gemeinde wird selten oder nie mit der Versetzung in den Wartestand
nicht wiederhergestellt, wie vielfach behauptet wird, im Gegenteil, oft bleibt eine gespaltene, frustrierte Gemeinde zurück, über deren Köpfe entschieden wurde.

Das Interesse der Kirchenleitung kann deshalb eigentlich nur sein, einen bewährten Mitarbeiter an anderer Stelle mit seinen Gaben und Fähigkeit neu einzusetzen. Die Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers und damit auch der Kirche verlangt es, den Pfarrer in eine dem Amt angemessene ande-re Stelle zu versetzen. Dem steht auch nicht das Recht der Gemeinden entgegen, einen Pfarrer zu wählen.


Als Interesse des Pfarrers darf man postulieren, entsprechend seiner Ausbildung, Fortbildung und nach Maßgabe seiner Fähigkeiten und seines Ordinationsversprechens eine ihm entsprechende Anstellung zu finden.


1.8 Kein wirksamer Rechtsschutz
Rechtsschutz zu genießen gehört in unserem demokratischen Rechtsstaat zu den Selbstverständlichkeiten. Er entspringt auch dem biblischen Anliegen der Gerechtigkeit, denn Gott ist ein Gott des Rechts und nicht der Unordnung.
In einem Ungedeihlichkeitsverfahren geht es darum, dass ein Gremium, z.B. der Kirchengemeinderat oder Einzelpersonen Behauptungen, Vor-würfe, Anschuldigungen gegenüber dem Pfarrer vorbringen. Diese wer-den von der Verwaltung gesammelt und wenn sie den Anschein der Wahrscheinlichkeit haben, bilden sie die Grundlage für die Entscheidung. In einem solchen Verfahren Rechtsschutz zu genießen würde bedeuten, dass die Vorwürfe und Kritikpunkte auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden und sie in Gegenwart des „Beschuldigten“ vorgetragen werden in Rede und Gegenrede. Dieser Aufgabe kommt die Verwaltung nicht nach, da sie nur die Zerrüttung feststellen muss. Damit leistet die Kirche allen Varianten von Mobbing Vorschub.


Grundsätzlich kann ein Pfarrer vor ein kirchliches Verwaltungsgericht gehen. Das Gesetz beinhaltet formaljuristisch einen Rechtsschutz.
Aber auch hier erhält er diesen Rechtsschutz nicht. Denn es wird sich nicht auf die inhaltlichen Fragen einlassen, das heißt es prüft den Wahr-heitsgehalt der Anschuldigungen nicht nach.8 Es muss sich vielmehr darauf beschränken, formale Fehler zu überprüfen, z.B. Verletzung des rechtlichen Gehör. Das Kirchengericht kann zur Überprüfung dieser for-malen Richtigkeit zwar eigene Erhebungen durchführen, muss es aber nicht, sondern kann, wenn keine offensichtlichen Verfahrensfehler vor-liegen, nach Aktenlage entscheiden und sich somit kritiklos den Ermes-sensentscheidungen der Kirchenleitung anschließen. Das Kirchengericht bringt -den Erfahrungen vieler Betroffener nach- nicht den erhofften Rechtsschutz.


Ironischer Weise entspricht dies der inneren Logik des Begriffs der Un-gedeihlichkeit. Sie schließt geradezu eine Nachprüfung des Wahrheits-gehalts aus, weil es genügt, dass ein Gremium die Tatsache der Zerrüt-tung behauptet. Da das Gesetz keinerlei nähere Bestimmungen im Blick auf das enthält, was unter Ungedeihlichkeit zu verstehen ist, setzt sich der Begriff dem Verdacht der Willkür aus. Es wäre zu klären, ob ein sol-cher unbestimmter Begriff dem Gebot der Transparenz genügt.


1.9 Defizite im Rechtsschutz (Kirchengerichtsbarkeit)
Das Gebot der Transparenz und Offenheit des Verfahrens wird in manchen Landeskirchen auch bei der Kirchengerichtsbarkeit verletzt


· Öffentlichkeit des Verfahrens. In vielen Landeskirchen tagen kirchliche Gerichte unter Ausschluss der Öffentlichkeit z. B. Hes-sen-Nassau oder Mitteldeutsche Kirche lässt nur eine kirchenin-terne“ Öffentlichkeit zu.
· In manchen Kirchen gilt der so genannte „Maulkorberlass“, das heißt, der betroffene Pfarrer darf keinerlei Informationen aus dem Prozess nach außen tragen. Sonst drohen ihm Sanktionen. Das bedeutet unter anderem: Verleumderischen Pressemittei-lungen kann er nicht entgegentreten.
· Manche Landeskirchen veröffentlichen ihre Urteile gar nicht, an-dere nur sehr lückenhaft.
· Ein Rechtsbeistand eigener Wahl wird nur eingeschränkt zuge-lassen, denn Rechtsbeistände müssen der Evangelischen Kirche angehören. Für manche Betroffene bedeutet dies eine Einschrän-kung ihres Rechtsschutzes, da es qualifizierte  Rechtsbeistände, die sich bei Interna der Kirchen sehr gut auskennen, auch außer-halb der Kirche gibt – manchmal nur dort.


1.10 Keine zweite Instanz in manchen Landeskirchen
Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit als maß-gebende und ungeschriebene Gebote rechtsstaatlicher Klarheit und Bestimmtheit bedeuten für Eingriffe und Verfügungen, dass sie objektiv sein müssen, d.h. entsprechend dem Urteil einer außenstehenden neu-tralen und vernünftigen Person, angemessen sind. Das ist nur der Fall, wenn eine (kirchen-)gerichtlich über zwei Instanzen nachprüfbare Güter-abwägung erfolgt und offenkundig gemacht worden ist, wonach sowohl die Belange der Allgemeinheit als auch gleichwertig (nicht gleichrangig) die sich aus der Persönlichkeit ergebenden Bedürfnisse rechtsstaatlicher Menschenwürde gegeneinander abgewogen worden sind.


Ergänzende Überlegungen
Rechtsschutzlücken zeigen sich an diesem Beispiel auf zweierlei Weise. Zum einen, was der Wartestand wirklich ist, ein Zustand minderen Rechts (s.o.) zum anderen, was aus der Versetzung in den Wartestand folgt.
Die Probleme im Wartestand: Der Pfarrer i.W. muss mit weiteren Perso-nalentscheidungen rechnen, wie z.B. kein Mitspracherecht bei der Zutei-lung eines Dienstauftrages, jederzeitige Umsetzung und Betrauung mit einem anderen Dienstauftrag usw.


2. Die Dienstherrenfähigkeit der Kirche verlangt geradezu, sich an rechtsstaatliche Prinzipien zu halten
Ein Denkanstoß, rechtsstaatliche Grundsätze in der Kirche anzuwenden, geht von der Dienstherrenfähigkeit der Kirchen aus. Ansatzpunkt ist die sogenannte Zeugen-Jehova- Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts. (102. Band der amtlichen Sammlung, S. 370 ff.).
Zwar betont auch das BVerfG den Grundsatz, dass die Verfassungsprin-zipien des Art. 20 GG (und damit auch das Rechtsstaatsprinzip) sich nur an den Staat, nicht aber an die Religionsgemeinschaften wenden:


"Die in Art. 20 GG niedergelegten Grundprinzipien und die Grund-sätze des Religionsund Staatskirchenrechts sind schon ihrer Herkunft und ihrem Inhalt nach Strukturvorgaben staatlicher Ordnung. Nur als solche verdienen sie Schutz. Sie enthalten keine Vorgaben für die Binnenstruktur einer Religionsgemeinschaft."

(BVerfGE 102, 370 [394])


Anders ist es aber, wenn eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts staatlich übertragene Hoheitsgewalt ausübt (also besondere Befugnisse, die ansonsten nur der Staat hat). Solche Hoheitsgewalt unterliegt immer den Bindungen des Grundgesetzes,
auch dann, wenn sie ausnahmsweise einmal nicht in den Händen des Staates liegt. Insbesondere gelten dann die Grundrechte und eben auch das Rechtsstaatsprinzip:


"Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss [...] die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird.


[...] Schon aus der Bindung aller öffentlichen Gewalt an Gesetz, Recht und Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt, dass eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Gewähr dafür bieten muss, die ihr übertragene Hoheitsgewalt in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Vorgaben auszuüben. Diese rechtsstaatliche Bindung scheitert nicht daran, dass korporierte Religionsgemeinschaften die ihnen übertragene Hoheitsgewalt nicht - wie Beliehene - zur Erfüllung staatlicher Aufgaben einsetzen, sondern zu eigenen Zwecken. Denn unter dem Grundgesetz ist jegliche Ausübung von Hoheitsgewalt an die Verfas-sung und an die gesetzliche Ordnung gebunden."
(BVerfGE 102, 370 [390 f.])


Die Frage ist nur, wann die Kirchen Hoheitsgewalt ausüben. Allgemein anerkannt ist das für ihr Besteuerungsrecht. So ausdrücklich auch das BVerfG in einer älteren Entscheidung:


"Die Befugnis zur Erhebung von Kirchensteuern ist ein vom Staat abgelei-tetes und in den weltlichen Bereich hineinwirkendes Hoheitsrecht (BVerfGE 18, 392 (396); 19, 206 (218); 19, 248 (251 f.)). Sie kann von den Kirchen nicht anders, als wenn der Staat sie selbst ausüben würde, nur in Einklang mit der grundgesetzlichen Ordnung, vor allem mit den Grundrechten, in Anspruch genommen werden." (BVerfGE 30, 415 [422])


Bemerkenswert ist jetzt, daß das BVerfG - wiederum in der Zeugen-Jeho-vas-Entscheidung - die sogenannte Dienstherrenfähigkeit ebenfalls als hoheitliche Befugnis bezeichnet und in einem Atemzug mit dem Besteu-erungsrecht genannt hat:


"Mit dem Körperschaftsstatus werden ihnen bestimmte hoheitliche Befug-nisse übertragen, sowohl gegenüber ihren Mitgliedern – etwa beim Be-steuerungsrecht und der Dienstherrenfähigkeit - als auch - bei der Wid-mungsbefugnis - gegenüber Anderen." (BVerfGE 102, 370 [388])


Dienstherrenfähigkeit ist die Befugnis, öffentlich-rechtliche Dienstver-hältnisse zu begründen. In den ev. Kirchen sind das die Pfarrerdienstver-hältnisse und die der Kirchenbeamten. Ebenfalls ausdrücklich das BVerfG:


"Aufgrund ihrer Dienstherrenfähigkeit können sie öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse begründen." (BVerfGE 102, 370 [371])


Nimmt man die zitierten Äußerungen zusammen, so müssen die Kirchen bei ihren Pfarrerdienstverhältnissendie Grundrechte und das Rechts-staatsprinzip beachten!


Zwei wichtige Einschränkungen:


- Trotzdem gilt natürlich das Selbstbestimmungsrecht. Rechts-staatsbindung und kirchliches Selbstverständnis müssen immer in Einklang gebracht werden. Hierzu müsste die Kirche jedoch trans-parent machen, was ihr Selbstverständnis ist.
- Dieser Gedankengang ist keine verbindliche Rechtsprechung des BVerfG. Dass die Dienstherrenfähigkeit eine hoheitliche Befugnis sei, ist ein sogenanntes obiter dictum ohne Bindungswirkung (nur die "tragenden Entscheidungsgründe" sind verbindlich). Etliche Kirchenrechtler sehen das auch anders. Aber immerhin hat auch eine solche beiläufige Aussage in einer BVerfG-Entscheidung ein gewisses Gewicht.


Abschließend sei noch angemerkt: Es ist die eine Frage, ob sich die Kir-che an solche rechtsstaatlichen Grundsätze halten muss; eine andere, ob der Staat Kirchengerichtsurteile auch überprüfen darf. Die Entscheidung des BVerfG vom 09.12.2008 bringt in dieser Hinsicht bedauerlicherweise keine Klarheit trotz anderslautender Entscheidungen des Bundesge-richtshof aus den Jahren 2000 und 2003 und des Bundesverwaltungsge-richtshofes aus dem Jahre 2002. Hinzu kommt, dass „die überwiegende Staatskirchenrechtswissenschaft (seit Jahren) die Justizgewährungs-pflicht des Staates anmahnt, die den Ausgleich des Selbstbestimmungs-rechts (der Kirchen) mit den von seiner Entfaltung betroffenen Schutz-gütern des für alle geltenden Gesetzes in einer Sachentscheidung for-dert.“9

 

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1 Z.B. „Aus der Bindung an rechtsstaatliche Mindesterfordernisse erge-ben sich Anforderungen an die Bestimmtheit dienstrechtlicher Rege-lungen. Diese Regelungen müssen in Bezug auf Erkennbarkeit und Vor-aussehbarkeit ihrer Rechtsfolgen einem staatlichen Gesetz vergleichbar sein.“ „In diesem Sinne haben vor allem die kirchlichen Gerichte Art. 3 Abs. 1 GG, Art 3 Abs 2 und Abs. 3 GG sowie Art 6 Abs. 1 GG als innerkir-chlich rezipierte Rechtsgebote angewendet. Als weitere innerkirchlich rezipierte Rechtsgebote kommen für das kirchliche Dienstrecht vor al-lem der Schutz der Menschenwürde, die Handlungsfreiheit, die Berufs-freiheit, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Vertrauens-schutz und der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie Ansätze einer Rechtsschutzgarantie in Betracht.“ (Rainer Mainusch, Aktuelle Frage-stellungen im Pfarrerdienstrecht. ZevKR 2004 S. 24f.) Eine weitere theo-logische Stimme: Martin Honecker, TRE Band 18, 1989, S. 735: Er rechnet das Pfarrerdienstrecht zum sogenannten Verbandsrecht, „das sich frei-lich an den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Rechts-sicherheit messen lassen muss.“
2 Martin Richter, ZevKR 49 (2004), 739 [750 f.]

3 Richter S. 750f.
4 Darüber hinaus sollte eine Selbstverpflichtung der Kirche auf die Grund- und Menschenrechte angemahnt werden. Das ist sie der Glaub-würdigkeit für das Ethos in Staat und Gesellschaft schuldig. Die Kirche muss sich genau wie der Staat generell dazu zu bekennen, die Grund-rechte bei ihren Rechtsverhältnissen nach außen und innen einzuhalten und darüber Rechenschaft abzulegen.

5 Dies gilt im besonderen Maße auch für die Pfarrer, sofern sie Dienst-vorgesetzte sind.
6 Diese Aufzählung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

7 Diese Kritik richtet sich gegen Beurteilungen der Verwaltung, sofern sie ihre Prognose nicht auf psychologische oder andere fachlich ausge-wiesene Kenntnisse stützt.

8 „Ob die gegen den Kläger (Pfarrer) erhobenen Vorwürfe berechtigt sind, kann in dem Verfahren der Wartestandsversetzung letztlich unent-schieden bleiben.“ Aus einem Gerichtsurteil eines Kirchengerichtes 2007.

9 Michael Germann, Staatliche Verwaltungsgerichte vor der Aufgabe der Justizgewährung in religionsgemeinschaftlichen Angelegenheiten. ZevKR 2006 S. 589f.

 

 

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